Manchmal hat man das Gefühl, dass wir in einer Art goldenem Zeitalter des Kinos leben, das sich jedoch völlig von den früheren glücklichen Tagen unterscheidet. Während manche die frühere Genialität des Systems feiern, um die Vermehrung guter Filme zu erklären, ist das System heute so etwas wie ein Stümper, der sich oft in Dummheiten stürzt oder sogar Inspirationen unter seinem Gewicht erdrückt, sich aber manchmal aus guten oder schlechten Gründen hinreißen lässt und die überraschende Kontrolle über riesige Ressourcen Künstlern überlässt, die sie auf verblüffend kühne und persönliche Weise nutzen. Die besten Filmemacher, die in Hollywood arbeiten, haben ein leidenschaftliches Gespür für die filmische Vergangenheit, aber sie schwärmen nicht von ihrer Politur oder ahmen ihre Stile nach, sondern graben sie nach ihrem Rohmaterial aus.

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Es gibt hier auch einen Aufschwung des unabhängigen Filmemachens, der junge Leute befreit, die in früheren Zeiten vielleicht jahrelang um eine praktische Chance ringen mussten, die sie jetzt, mit Video und angemessenem Einsatz, selbst ergreifen können. Einige dieser unabhängigen Filmemacher haben eigene Methoden und eine eigene Ästhetik entwickelt – in Bezug auf Thema, Bild und Darstellung -, die den Produktionsmitteln angemessen sind. Sie stellen ihr Leben, ihr Zuhause, ihre Familien, ihre Probleme und sogar ihre Kunst in den Mittelpunkt ihrer Filme, und weil sie in ihrer Individualität viel mit anderen ihrer Generation gemeinsam haben, finden ihre Geschichten, die im besten Fall die jahrhundertealten Auseinandersetzungen und Bestrebungen talentierter und ehrgeiziger Jugendlicher im Leben, in der Liebe und in der Kunst widerspiegeln, einen tiefen und breiten Widerhall. Inzwischen gehen die Verbreitung von Programmkinos und die plötzliche Verfügbarkeit von Klassikern auf DVD und über Netflix Hand in Hand mit dem Aufstieg ihrer Kunst: Ihr starker Fokus auf das Unmittelbare und Intime schließt die intensive persönliche Erfahrung von Filmen ein – ob Schätze aus der Geschichte des Kinos oder Instant-Klassiker, die gerade aus aller Welt eingetroffen sind. Und dank der Schnelligkeit des Internets, mit der die Nachricht von Bloggern und Enthusiasten in die ganze Welt getragen wird, haben die unabhängige Ästhetik und ihre Künstler schnell einen heilsamen Einfluss auf den Hollywood-Mainstream ausgeübt.

Auf der internationalen Szene ist Europa zwar (mit einigen Ausnahmen) nicht mehr der grenzenlos fruchtbare Boden für die Filmkunst, der es einmal war, aber es gibt wunderbare Filmemacher, die dort auftauchen, wo es früher nur wenige gab. Auch hier haben sich Ästhetik und Methodik gemeinsam entwickelt, und die Öffnung des Kinos für neue Erfahrungsbereiche geht einher mit einer zunehmenden Vielfalt von Stilen und Praktiken. (Aufgrund der Unwägbarkeiten des Vertriebs sind in dieser Liste eine Reihe von Filmen nicht aufgeführt, die auf Festivals oder in speziellen Reihen gezeigt wurden, hierzulande aber noch nicht in die Kinos gekommen sind.)

Es ist ein großartiger Moment, um Filme zu sehen, und in diesem Jahr wäre eine Liste mit den zehn besten Filmen eine absurde Einschränkung. Die ersten fünf Filme, die im Folgenden genannt werden, sind den anderen Veröffentlichungen des Jahres haushoch überlegen, aber die nächsten zwanzig sind allesamt würdige Nachfolger und könnten, je nach meiner Stimmung an einem bestimmten Tag, beliebig die Plätze tauschen. Ich habe versucht, sie so aufzustellen, dass sie miteinander in Resonanz stehen. Was man sagen kann, ist dies: In einer Zeit, in der die akademische Forschung und die digitalen Medien die filmische Vergangenheit geradezu beklemmend allgegenwärtig machen, in der die sich verändernden Technologien das Wesen der filmischen Praxis in Frage stellen und in der die Wirtschaft der Branche zwischen der Skylla der Produktionskosten und der Charybdis der unsicheren Verbreitung gefangen zu sein scheint, neue Generationen auf der ganzen Welt, für die das Kino ein wesentlicher Bestandteil der Identität und ein entscheidender Modus der Selbsterkenntnis ist, bringen es dennoch mit bemerkenswertem Fleiß in immer engeren Kontakt mit ihrem eigenen Leben und ihren eigenen Erfahrungen und bringen so ein aufkeimendes, aufregend eruptives und disruptives Kino der Gegenwart hervor, das bereits auf das Kino der Zukunft vorausblickt.

  1. „**Shutter Island“ (Martin Scorsese)

Bilder, die dem Innersten des Regisseurs entsprungen zu sein scheinen – eine Art filmische Selbstpsychoanalyse, die zu einem kollektiven Bekenntnis der wesentlichen Ängste und Schrecken eines historischen Moments wird, der nicht nur nicht verloren ist, sondern immer wieder als Stil neu entdeckt wird.

  1. „The Social Network“ (David Fincher)

Zwei Filme zum Preis von einem – die Sorkin-Version mit ihrer reumütigen Psychologisierung und die Fincher-Version mit ihrem prinzipientreuen Wunder. Ein Porträt des Genies, das an „Amadeus“ erinnert, aber in seiner künstlerischen Qualität näher an „Rebel Without a Cause“ heranreicht – und gleichzeitig die Kraft einer ganzen Generation in sich trägt.

  1. „Somewhere“ (Sofia Coppola)

Einer der radikalsten Filme, die je in Hollywood gedreht wurden, wenn die Wurzel des Kinos die Beschwörung des inneren Lebens durch äußere Details ist. Die Kluft zwischen dem gelebten und dem wahrgenommenen Leben – eine stille Tragödie im Stile Sartres – wird mit dem zarten, fast schwerelosen Gleiten eines Ferraris auf der Autobahn überbrückt.

  1. „Greenberg“ (Noah Baumbach)

L.A. wieder, Generationen wieder: Ben Stiller, gefangen in einem Gehirn mit ständig laufendem Motor, der seinen inneren Herzog (nicht Werner; Moses) kanalisiert; Greta Gerwig, übervoll mit einem Leben, das stetig in seinen Ufern zu fließen scheint. Eine Geschichte über zwei Zukünfte – die eine, die vor uns liegt, aufgebaut auf den Ruinen einer unerfüllten – erzählt mit einer lebendigen Unmittelbarkeit und einem schwermütigen Witz.

  1. „Black Swan“ (Darren Aronofsky)

Erstaunlich aggressiver Symbolismus, bedingt durch eine außergewöhnliche visuelle Kohärenz und eine Hauptdarstellerin, Natalie Portman, von einer verführerischen Opazität. Abgesehen von aller Technik (und die ist gewaltig), versteht Aronofsky die Schauspieler als Menschen besser als fast jeder andere Regisseur.

  1. „Um einen kleinen Berg“ (Jacques Rivette)

  2. „Daddy Longlegs“ (Josh Safdie und Benny Safdie)

  3. „Der seltsame Fall der Angelika“ (Manoel de Oliveira)

  4. „**Winzige Möbel“ (Lena Dunham)

  5. „**Unser geliebter Monat August“ (Miguel Gomes)

  6. „Ne Change Rien“ (Pedro Costa)

  7. „The Father of My Children“ (Mia Hansen-Løve)

  8. „**Du wirst einen großen, dunklen Fremden treffen“ (Woody Allen)

  9. „Hereafter“ (Clint Eastwood)

  10. „Die portugiesische Nonne“ (Eugène Green)

  11. „Die Armee des Verbrechens“ (Robert Guédiguian)

  12. „Außerhalb des Gesetzes“ (Rachid Bouchareb)

  13. „**Audrey das Zugwrack“ (Frank V. Ross)

  14. „Boxing Gym“ (Frederick Wiseman)

  15. „Catfish“ (Henry Joost und Ariel Schulman)

  16. „Cyrus“ (Jay Duplass und Mark Duplass)

  17. „**Open Five“ (Kentucker Audley)

  18. „Get Him to the Greek“ (Nicholas Stoller)

  19. „Spring Fever“ (Lou Ye)

  20. „Scott Pilgrim vs. the World“ (Edgar Wright)

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