Hämatologische FärbungBearbeiten

In den frühen 1870er Jahren war Ehrlichs Vetter Karl Weigert der erste, der Bakterien mit Farbstoffen färbte und Anilinpigmente für histologische Studien und die Bakteriendiagnostik einführte. Während seines Studiums in Straßburg bei dem Anatomen Heinrich Wilhelm Waldeyer setzte Ehrlich die von seinem Vetter begonnenen Forschungen auf dem Gebiet der Pigmente und der Färbung von Geweben für mikroskopische Untersuchungen fort. Sein achtes Universitätssemester verbrachte er in Freiburg im Breisgau, wo er sich vor allem mit dem roten Farbstoff Dahlie (Monophenylrosanilin) beschäftigte, woraus seine erste Publikation entstand.

1878 folgte er seinem Doktorvater Julius Friedrich Cohnheim nach Leipzig und promovierte im selben Jahr mit der Dissertation „Beiträge zur Theorie und Praxis der histologischen Färbung“.

Foto von kultivierten Mastzellen bei 100-facher Färbung mit Tol-Blau

Eines der herausragendsten Ergebnisse seiner Dissertationsarbeiten war die Entdeckung eines neuen Zelltyps. Ehrlich entdeckte im Protoplasma vermeintlicher Plasmazellen ein Granulat, das mit Hilfe eines alkalischen Farbstoffs sichtbar gemacht werden konnte. Er hielt dieses Granulat für ein Zeichen guter Ernährung und nannte diese Zellen dementsprechend Mastzellen (nach dem deutschen Wort für ein Tiermastfutter, Mast). Diese Konzentration auf die Chemie war ungewöhnlich für eine medizinische Dissertation. Ehrlich stellte darin das gesamte Spektrum der bekannten Färbetechniken und die Chemie der verwendeten Pigmente dar und arbeitete während seiner Zeit an der Charité an der Differenzierung der weißen Blutkörperchen nach ihren unterschiedlichen Granula. Voraussetzung dafür war eine ebenfalls von ihm entwickelte Trockenprobenmethode. Ein Blutstropfen, der zwischen zwei Objektträger gegeben und über einem Bunsenbrenner erhitzt wurde, fixierte die Blutzellen und ließ sie dennoch färben. Ehrlich verwendete sowohl alkalische als auch saure Farbstoffe und entwickelte auch neue „neutrale“ Farbstoffe. Damit war es erstmals möglich, die Lymphozyten von den Leukozyten (weißen Blutkörperchen) zu unterscheiden. Durch die Untersuchung ihrer Granulation konnte er zwischen nicht-granulären Lymphozyten, ein- und mehrkernigen Leukozyten, eosinophilen Granulozyten und Mastzellen unterscheiden.

Ab 1880 untersuchte Ehrlich auch rote Blutkörperchen. Er wies die Existenz kernhaltiger roter Blutkörperchen nach, die er in Normoblasten, Megaloblasten, Mikroblasten und Poikiloblasten unterteilte; er hatte die Vorläufer der Erythrozyten entdeckt. Ehrlich legte damit auch die Grundlage für die Analyse von Anämien, nachdem er mit seiner Untersuchung der weißen Blutkörperchen die Basis für die Systematisierung der Leukämien geschaffen hatte.

Zu seinen Aufgaben an der Charité gehörte die Analyse von Blut- und Urinproben von Patienten. 1881 veröffentlichte er einen neuen Urintest, mit dem sich verschiedene Arten von Typhus von einfachen Durchfallerkrankungen unterscheiden ließen. Die Intensität der Färbung ermöglichte eine Krankheitsprognose. Die von ihm verwendete Pigmentlösung ist heute als Ehrlich’sches Reagenz bekannt. Ehrlichs großer Verdienst, aber auch eine Quelle von Problemen während seiner weiteren Karriere, war, dass er ein neues Studiengebiet initiiert hatte, das Chemie, Biologie und Medizin miteinander verband. Viele seiner Arbeiten wurden von der Ärzteschaft abgelehnt, da sie nicht über die erforderlichen chemischen Kenntnisse verfügte. Das bedeutete auch, dass für Ehrlich keine geeignete Professur in Sicht war.

SerumforschungEdit

Freundschaft mit Robert KochEdit

Robert Koch, um 1900

Als Student in Breslau erhielt Ehrlich durch den Pathologen Julius Friedrich Cohnheim Gelegenheit zu umfangreichen Forschungen und lernte auch Robert Koch kennen, der zu dieser Zeit Kreisarzt in Wollstein, Provinz Posen, war. Koch hatte in seiner Freizeit den Lebenszyklus des Milzbranderregers aufgeklärt und Kontakt zu Ferdinand Cohn aufgenommen, der schnell von Kochs Arbeit überzeugt war und ihn seinen Breslauer Kollegen vorstellte. Vom 30. April bis zum 2. Mai 1876 hielt Koch in Breslau einen Vortrag über seine Untersuchungen, dem der Student Paul Ehrlich beiwohnen konnte.

Am 24. März 1882 war Ehrlich dabei, als Robert Koch, der seit 1880 am Kaiserlichen Gesundheitsamt in Berlin arbeitete, den Vortrag hielt, in dem er berichtete, wie er den Tuberkuloseerreger identifizieren konnte. Ehrlich bezeichnete diesen Vortrag später als sein „größtes Erlebnis in der Wissenschaft“. Bereits am Tag nach Kochs Vortrag hatte Ehrlich eine Verbesserung von Kochs Färbemethode vorgenommen, die Koch vorbehaltlos begrüßte. Von diesem Tag an verband die beiden Männer eine Freundschaft.

1887 wurde Ehrlich Privatdozent für Innere Medizin an der Berliner Universität und übernahm 1890 auf Wunsch Kochs die Tuberkulosestation an einem öffentlichen Krankenhaus in Berlin-Moabit. Dort wurde das von Koch erhoffte Tuberkulosetherapeutikum Tuberkulin erprobt, das Ehrlich sich sogar selbst injiziert hatte. Im folgenden Tuberkulinskandal versuchte Ehrlich, Koch zu unterstützen und betonte den Wert des Tuberkulins für diagnostische Zwecke. 1891 lud Koch Ehrlich ein, am neu gegründeten Institut für Infektionskrankheiten (heute Robert-Koch-Institut) an der Friedrich-Wilhelms-Universität (heute Humboldt-Universität) in Berlin zu arbeiten. Koch konnte ihm zwar keine Vergütung zahlen, bot ihm aber vollen Zugang zu Laborpersonal, Patienten, Chemikalien und Versuchstieren, woran sich Ehrlich stets dankbar erinnerte.

Erste Arbeiten zur ImmunitätEdit

Ehrlich hatte seine ersten Versuche zur Immunisierung bereits in seinem privaten Labor begonnen. Er gewöhnte Mäuse an die Gifte Ricin und Abrin. Nachdem er sie mit kleinen, aber ansteigenden Dosen von Ricin gefüttert hatte, stellte er fest, dass sie „ricinfest“ geworden waren. Ehrlich interpretierte dies als Immunisierung und beobachtete, dass diese nach wenigen Tagen schlagartig einsetzte und noch nach mehreren Monaten bestand, gegen Rizin immunisierte Mäuse aber genauso empfindlich auf Abrin reagierten wie unbehandelte Tiere.

Es folgten Untersuchungen zur „Vererbung“ der erworbenen Immunität. Es war bereits bekannt, dass in einigen Fällen nach einer Pocken- oder Syphilisinfektion eine spezifische Immunität von den Eltern auf die Nachkommen übertragen wurde. Ehrlich lehnte eine Vererbung im genetischen Sinne ab, da die Nachkommen einer gegen Abrin immunisierten männlichen Maus und einer unbehandelten weiblichen Maus nicht immun gegen Abrin waren. Er schloss daraus, dass der Fötus über den Lungenkreislauf der Mutter mit Antikörpern versorgt wurde. Diese Idee wurde durch die Tatsache gestützt, dass diese „vererbte Immunität“ nach einigen Monaten abnahm. In einem anderen Experiment tauschte er die Nachkommen von behandelten und unbehandelten weiblichen Mäusen aus. Die Mäuse, die von den behandelten Weibchen gesäugt wurden, waren vor dem Gift geschützt, was den Beweis erbrachte, dass Antikörper auch über die Milch übertragen werden können.

Ehrlich erforschte auch die Autoimmunität, aber er lehnte ausdrücklich die Möglichkeit ab, dass das Immunsystem eines Organismus das eigene Gewebe angreifen könnte, und nannte dies „Horror autotoxicus“. Es war Ehrlichs Schüler Ernest Witebsky, der nachwies, dass Autoimmunität beim Menschen Krankheiten verursachen kann. Ehrlich war der erste, der vorschlug, dass es Regulationsmechanismen gibt, die den Organismus vor Autoimmunität schützen, indem er 1906 sagte, dass „der Organismus gewisse Vorrichtungen besitzt, durch die die Immunitätsreaktion, die so leicht von allen Arten von Zellen erzeugt wird, daran gehindert wird, gegen die eigenen Elemente des Organismus zu wirken“.

Arbeit mit Behring an einem DiphtherieserumEdit

Emil Behring hatte bis 1893 am Berliner Institut für Infektionskrankheiten an der Entwicklung eines Antiserums zur Behandlung von Diphtherie und Tetanus gearbeitet, jedoch mit uneinheitlichen Ergebnissen. Koch schlug Behring und Ehrlich vor, bei diesem Projekt zusammenzuarbeiten. Diese gemeinsame Arbeit war insofern erfolgreich, als Ehrlich auf der Grundlage seiner Erfahrungen mit Mäusen die Immunität der Versuchstiere rasch steigern konnte. Klinische Tests mit Diphtherieserum Anfang 1894 verliefen erfolgreich, und im August begann die Chemiefirma Hoechst mit der Vermarktung von Behrings „Diphtherie-Heilmittel, synthetisiert von Behring-Ehrlich“. Ursprünglich hatten die beiden Entdecker vereinbart, den Gewinn nach Abzug des Hoechst-Anteils zu teilen. Ihr Vertrag wurde mehrmals geändert, und schließlich wurde Ehrlich unter Druck gesetzt, eine Gewinnbeteiligung von nur acht Prozent zu akzeptieren. Ehrlich ärgerte sich über diese seiner Meinung nach unfaire Behandlung, und seine Beziehung zu Behring war fortan problematisch, eine Situation, die später wegen der Frage der Wertigkeit des Tetanusserums eskalierte. Ehrlich erkannte an, dass das Prinzip der Serumtherapie von Behring und Kitasato entwickelt worden war. Er war jedoch der Meinung, dass er als erster ein Serum entwickelt hatte, das auch am Menschen angewendet werden konnte, und dass seine Rolle bei der Entwicklung des Diphtherieserums nicht ausreichend gewürdigt worden war. Behring seinerseits intrigierte im preußischen Kultusministerium gegen Ehrlich und verweigerte ab 1900 die Zusammenarbeit mit ihm. 1901 erhielt von Behring als einziger den ersten Nobelpreis für Medizin für seinen Beitrag zur Erforschung der Diphtherie.

Die Wertigkeit von SerenEdit

Gedenktafel am Eingang des Anatomischen Instituts der Universität Freiburg, wo Paul Ehrlich als Medizinstudent im Wintersemester 1875/76 die Mastzellen entdeckte.

Da Antiseren eine völlig neue Art von Medikamenten waren, deren Qualität stark schwankte, wurde ein staatliches System eingeführt, um ihre Sicherheit und Wirksamkeit zu garantieren. Ab dem 1. April 1895 durften im Deutschen Reich nur noch staatlich zugelassene Seren verkauft werden. Die Prüfstelle für Diphtherieserum wurde provisorisch im Institut für Infektionskrankheiten untergebracht. Auf Initiative von Friedrich Althoff wurde 1896 in Berlin-Steglitz ein Institut für Serumforschung und Serumprüfung gegründet, dessen Direktor Paul Ehrlich wurde (was ihn zur Kündigung aller Verträge mit Hoechst zwang). In dieser Funktion und als Honorarprofessor an der Berliner Universität hatte er ein Jahreseinkommen von 6.000 Mark, was etwa dem Gehalt eines Universitätsprofessors entsprach. Neben einer Versuchsabteilung verfügte das Institut auch über eine Forschungsabteilung.

Um die Wirksamkeit des Diphtherie-Antiserums zu bestimmen, war eine stabile Konzentration des Diphtherietoxins erforderlich. Ehrlich entdeckte, dass das verwendete Toxin, anders als angenommen, verderblich war, was für ihn zwei Konsequenzen nach sich zog: Er verwendete nicht das Toxin als Standard, sondern ein von Behring entwickeltes Serumpulver, das kurz vor der Verwendung in Flüssigkeit aufgelöst werden musste. Die Stärke eines Testtoxins wurde zunächst im Vergleich mit diesem Standard bestimmt. Das Testtoxin konnte dann als Referenz für die Prüfung anderer Seren verwendet werden. Für den Test selbst wurden Toxin und Serum in einem solchen Verhältnis gemischt, dass sich ihre Wirkungen gerade aufheben, wenn sie einem Meerschweinchen injiziert werden. Da es aber eine große Spanne gab, um festzustellen, ob Krankheitssymptome vorhanden waren, legte Ehrlich ein eindeutiges Ziel fest: den Tod des Tieres. Die Mischung sollte so beschaffen sein, dass das Versuchstier nach vier Tagen sterben würde. Starb es früher, war das Serum zu schwach und wurde verworfen. Ehrlich behauptete, die Bestimmung der Wertigkeit des Serums so genau gemacht zu haben, wie es bei einer chemischen Titration der Fall wäre. Dies zeigt erneut seine Tendenz zur Quantifizierung der Biowissenschaften.

Beeinflusst durch den Bürgermeister von Frankfurt am Main, Franz Adickes, der sich in Vorbereitung auf die Gründung einer Universität um die Etablierung wissenschaftlicher Einrichtungen in Frankfurt bemühte, zog Ehrlichs Institut 1899 nach Frankfurt und wurde in Königlich Preußisches Institut für Experimentelle Therapie umbenannt. Die deutsche Qualitätskontrollmethodik wurde von staatlichen Seruminstituten in aller Welt kopiert, und auch sie bezogen das Standardserum aus Frankfurt. Nach dem Diphtherie-Antiserum wurden in rascher Folge Tetanus-Serum und verschiedene Bakterizid-Seren für den Einsatz in der Tiermedizin entwickelt. Auch diese wurden am Institut evaluiert, ebenso wie das Tuberkulin und später verschiedene Impfstoffe. Ehrlichs wichtigster Mitarbeiter am Institut war der jüdische Arzt und Biologe Julius Morgenroth.

Ehrlichs SeitenkettentheorieBearbeiten

Paul Ehrlich um 1900 in seinem Frankfurter Büro

Er postulierte, dass das Zellprotoplasma spezielle Strukturen enthält, die chemische Seitenketten haben (heute spricht man von Makromolekülen), an die sich das Toxin bindet und so die Funktion beeinflusst. Überlebt der Organismus die Einwirkung des Giftes, werden die blockierten Seitenketten durch neue ersetzt. Diese Regeneration kann trainiert werden, man nennt dieses Phänomen Immunisierung. Produziert die Zelle einen Überschuss an Seitenketten, können diese auch als Antikörper ins Blut abgegeben werden.

In den folgenden Jahren erweiterte Ehrlich seine Seitenkettentheorie mit nicht mehr gebräuchlichen Begriffen („Amborezeptoren“, „Rezeptoren erster, zweiter und dritter Ordnung“ usw.). Er nahm an, dass zwischen dem Antigen und dem Antikörper ein zusätzliches Immunmolekül steht, das er als „Additiv“ oder „Komplement“ bezeichnete. Für ihn enthielt die Seitenkette mindestens zwei funktionelle Gruppen.

Für die Bereitstellung einer theoretischen Grundlage für die Immunologie sowie für seine Arbeiten zur Serumvalenz erhielt Ehrlich 1908 gemeinsam mit Élie Metchnikoff den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin. Metchnikoff, der am Pasteur-Institut den zellulären Zweig der Immunität, die Phagozytose, erforscht hatte, hatte Ehrlich zuvor scharf angegriffen.

KrebsforschungEdit

Im Jahr 1901 kritisierte das preußische Finanzministerium Ehrlich wegen Überschreitung seines Budgets und kürzte daraufhin sein Einkommen. In dieser Situation vermittelte Althoff einen Kontakt zu Georg Speyer, einem jüdischen Philanthropen und Mitinhaber des Bankhauses Lazard Speyer-Ellissen. Die Krebserkrankung von Prinzessin Victoria, der Witwe des deutschen Kaisers Friedrich II., hatte in der Öffentlichkeit große Aufmerksamkeit erregt und eine Sammlung unter wohlhabenden Frankfurter Bürgern, darunter auch Speyer, zur Unterstützung der Krebsforschung ausgelöst. Ehrlich hatte auch vom deutschen Kaiser Wilhelm II. die persönliche Bitte erhalten, seine ganze Kraft der Krebsforschung zu widmen. Diese Bemühungen führten zur Gründung einer Abteilung für Krebsforschung, die dem Institut für Experimentelle Therapie angegliedert war. Dort arbeitete u.a. der Chemiker Gustav Embden. Ehrlich wies seine Förderer darauf hin, dass es sich bei der Krebsforschung um Grundlagenforschung handele und dass eine Heilung nicht in Kürze zu erwarten sei.

Zu den Ergebnissen von Ehrlich und seinen Forscherkollegen gehörte die Erkenntnis, dass die Bösartigkeit von Tumoren von Generation zu Generation zunimmt, wenn sie durch Transplantation von Tumorzellen gezüchtet werden. Wird der Primärtumor entfernt, so nimmt die Metastasierung sprunghaft zu. Ehrlich wandte bakteriologische Methoden auf die Krebsforschung an. In Analogie zur Impfung versuchte er, durch Injektion von geschwächten Krebszellen eine Immunität gegen Krebs zu erzeugen. Sowohl in der Krebsforschung als auch in der Chemotherapieforschung (siehe unten) führte er die Methoden der Big Science ein.

ChemotherapieEdit

In-vivo-FärbungEdit

Im Jahr 1885 erschien Ehrlichs Monographie „Das Sauerstoffbedürfnis des Organismus- Eine farbenanalytische Studie“, die er auch als Habilitationsschrift einreichte. Darin führte er die neue Technik der In-vivo-Färbung ein. Eine seiner Erkenntnisse war, dass Pigmente nur dann von lebenden Organismen leicht aufgenommen werden können, wenn sie in körniger Form vorliegen. Er injizierte die Farbstoffe Alizarinblau und Indophenolblau in Versuchstiere und stellte nach deren Tod fest, dass verschiedene Organe unterschiedlich stark gefärbt waren. In Organen mit hoher Sauerstoffsättigung blieb Indophenol erhalten; in Organen mit mittlerer Sättigung wurde Indophenol reduziert, nicht aber Alizarinblau. Und in Bereichen mit geringer Sauerstoffsättigung waren beide Pigmente reduziert. Mit dieser Arbeit formulierte Ehrlich auch die Überzeugung, die seine Forschung leitete: dass alle Lebensvorgänge auf physikalisch-chemische Vorgänge in der Zelle zurückgeführt werden können.

MethylenblauBearbeiten

Färbung in vivo mit Methylenblau einer Zelle aus der Mundschleimhaut eines Menschen

Im Laufe seiner Untersuchungen stieß Ehrlich auf Methylenblau, das er als besonders geeignet für die Färbung von Bakterien ansah. Später verwendete auch Robert Koch Methylenblau als Farbstoff bei seinen Forschungen über den Tuberkuloseerreger. Einen zusätzlichen Vorteil sah Ehrlich darin, dass Methylenblau auch die langen Fortsätze von Nervenzellen, die Axone, anfärbt. Er regte eine Dissertation zu diesem Thema an, verfolgte es aber selbst nicht weiter. Der Neurologe Ludwig Edinger war der Meinung, dass Ehrlich damit ein wichtiges neues Thema in der Neurologie eröffnet hatte.

Nach Mitte 1889, als Ehrlich arbeitslos war, setzte er seine Forschungen über Methylenblau privat fort. Seine Arbeiten zur In-vivo-Färbung brachten ihn auf die Idee, es therapeutisch einzusetzen. Da die Parasitenfamilie der Plasmodiidae – zu der auch der Malariaerreger gehört – mit Methylenblau angefärbt werden kann, kam er auf die Idee, dass es möglicherweise zur Behandlung von Malaria eingesetzt werden könnte. Bei zwei so behandelten Patienten im Städtischen Krankenhaus in Berlin-Moabit ging das Fieber tatsächlich zurück und die Malaria-Plasmodien verschwanden aus dem Blut. Ehrlich bezog Methylenblau von der Firma Meister Lucius & Brüning AG (später umbenannt in Hoechst AG), mit der eine lange Zusammenarbeit begann.

Die Suche nach einer spezifischen ChemotherapieEdit

Bevor das Institut für Experimentelle Therapie nach Frankfurt umgezogen war, hatte Ehrlich bereits die Arbeit an Methylenblau wieder aufgenommen. Nach dem Tod von Georg Speyer stiftete seine Witwe Franziska Speyer zu seinem Andenken das Georg-Speyer-Haus, das in unmittelbarer Nähe zu Ehrlichs Institut errichtet wurde. Als Direktor des Georg-Speyer-Hauses verlegte Ehrlich seine chemotherapeutischen Forschungen dorthin. Er suchte nach einem Mittel, das so wirksam war wie Methylenblau, aber ohne dessen Nebenwirkungen. Sein Vorbild war einerseits die Wirkung von Chinin gegen Malaria, andererseits dachte er, dass es in Analogie zur Serumtherapie auch chemische Arzneimittel geben müsse, die ebenso spezifisch auf einzelne Krankheiten wirken. Sein Ziel war es, eine „Therapia sterilisans magna“ zu finden, also ein Mittel, das alle Krankheitserreger abtötet.

Ehrlich und Sahachiro Hata

Als Modell für eine experimentelle Therapie verwendete Ehrlich die Meerschweinchenkrankheit Trypanosoma und testete verschiedene chemische Substanzen an Versuchstieren. Tatsächlich konnten die Trypanosomen mit dem Farbstoff Trypanrot erfolgreich abgetötet werden. Ab 1906 beschäftigte er sich intensiv mit Atoxyl und ließ es zusammen mit anderen Arsenverbindungen während der Koch’schen Schlafkrankheitsexpedition 1906/07 von Robert Koch testen. Obwohl der Name wörtlich „ungiftig“ bedeutet, verursacht Atoxyl Schäden, insbesondere am Sehnerv. Ehrlich entwickelte das systematische Testen von chemischen Verbindungen im Sinne eines Screenings, wie es heute in der pharmazeutischen Industrie praktiziert wird. Er entdeckte, dass die Verbindung 418 – Arsenophenylglycin – eine beeindruckende therapeutische Wirkung hatte, und ließ sie in Afrika testen.

Mit der Unterstützung seines Assistenten Sahachiro Hata entdeckte Ehrlich 1909, dass die Verbindung 606, Arsphenamin, wirksam die Spirochaetes-Bakterien „Spirillum“ bekämpfte, von denen eine Unterart Syphilis verursacht. Die Verbindung erwies sich in Versuchen am Menschen als nebenwirkungsarm, und bei sieben Syphilis-Patienten verschwanden die Spirochäten nach dieser Behandlung.

Nach umfangreichen klinischen Tests (alle Versuchsteilnehmer hatten das Negativbeispiel Tuberkulin vor Augen) begann die Firma Hoechst gegen Ende 1910 mit der Vermarktung der Verbindung unter dem Namen Salvarsan. Dies war der erste Wirkstoff mit einer spezifischen therapeutischen Wirkung, der auf der Grundlage theoretischer Überlegungen entwickelt wurde. Salvarsan erwies sich als erstaunlich wirksam, insbesondere im Vergleich zur herkömmlichen Therapie mit Quecksilbersalzen. Das von der Hoechst AG hergestellte Salvarsan wurde zum meistverschriebenen Medikament der Welt. Es war das wirksamste Medikament zur Behandlung von Syphilis, bis in den 1940er Jahren Penicillin verfügbar wurde. Salvarsan musste in Bezug auf Nebenwirkungen und Löslichkeit verbessert werden und wurde 1911 durch Neosalvarsan ersetzt. Ehrlichs Arbeit beleuchtete die Existenz der Blut-Hirn-Schranke, obwohl er selbst nie an eine solche Schranke glaubte; Lina Stern prägte später den Begriff.

Das Medikament löste den sogenannten „Salvarsan-Krieg“ aus. Auf der einen Seite gab es Anfeindungen von Seiten derer, die einen daraus resultierenden moralischen Abbau der sexuellen Hemmungen befürchteten. Zum anderen wurde Ehrlich mit deutlich antisemitischem Unterton vorgeworfen, sich übermäßig zu bereichern. Außerdem beanspruchte Ehrlichs Mitarbeiter Paul Uhlenhuth die Priorität bei der Entdeckung des Medikaments.

Da einige Menschen während der klinischen Tests starben, wurde Ehrlich vorgeworfen, „vor nichts Halt zu machen“. 1914 wurde einer der prominentesten Ankläger in einem Prozess, zu dem Ehrlich als Zeuge geladen war, wegen Verleumdung verurteilt. Obwohl Ehrlich dadurch entlastet wurde, stürzte ihn die Tortur in eine Depression, von der er sich nie wieder ganz erholte.

Magische KugelEdit

Ehrlich kam zu dem Schluss, dass, wenn eine Verbindung hergestellt werden könnte, die selektiv auf einen krankheitsverursachenden Organismus abzielt, dann könnte ein Toxin für diesen Organismus zusammen mit dem Selektivitätsmittel geliefert werden. Auf diese Weise würde eine „Zauberkugel“ (sein Begriff für ein ideales therapeutisches Mittel) geschaffen, die nur den Zielorganismus tötet. Das Konzept der „magischen Kugel“ wurde bis zu einem gewissen Grad durch die Entwicklung von Antikörper-Wirkstoff-Konjugaten (ein monoklonaler Antikörper, der mit einem zytotoxischen biologisch aktiven Wirkstoff verbunden ist) verwirklicht, da sie es ermöglichen, zytotoxische Wirkstoffe selektiv an ihre vorgesehenen Ziele (z. B. Krebszellen) zu bringen.

LegacyEdit

Westdeutsche Briefmarke (1954) zum Gedenken an Paul Ehrlich und Emil von Behring

Im Jahr 1910 wurde in Frankfurt-Sachsenhausen eine Straße nach Ehrlich benannt. Im Dritten Reich wurden Ehrlichs Leistungen ignoriert und Emil Adolf von Behring zum idealen arischen Wissenschaftler stilisiert, die nach Ehrlich benannte Straße erhielt einen anderen Namen. Kurz nach Kriegsende wurde der Name Paul-Ehrlich-Straße wieder eingeführt, und heute sind in zahlreichen deutschen Städten Straßen nach Paul Ehrlich benannt.

Die Bundesrepublik Deutschland gab 1954 zum 100. Geburtstag von Paul Ehrlich (14. März 1854) und Emil von Behring (15. März 1854) eine Briefmarke heraus.

Auf dem 200-DM-Schein, der bis 2001 ausgegeben wurde, war Paul Ehrlich abgebildet.

Das Deutsche Paul-Ehrlich-Institut, Nachfolger des Steglitzer Instituts für Serumforschung und Serumprüfung und des Frankfurter Königlichen Instituts für Experimentelle Therapie, wurde 1947 nach seinem ersten Direktor Paul Ehrlich benannt.

Banknote der Serie 200 Deutsche Mark von 1996

Seinen Namen tragen auch viele Schulen und Apotheken, die Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie e. V. (PEG) in Frankfurt am Main und die Paul-Ehrlich-Klinik in Bad Homburg vor der Höhe. Der Paul-Ehrlich- und Ludwig-Darmstaedter-Preis ist die bedeutendste deutsche Auszeichnung für biomedizinische Forschung. Nach ihm ist ein europäisches Netzwerk für Doktorandenstudien in der Medizinischen Chemie benannt (Paul Ehrlich MedChem Euro PhD Network).

Die Anti-Defamation League vergibt einen Paul-Ehrlich-Günther-K.-Schwerin-Menschenrechtspreis.

Ein Mondkrater wurde 1970 nach Paul Ehrlich benannt.

Ehrlichs Leben und Werk wurde 1940 in dem US-amerikanischen Film Dr. Ehrlich’s Magic Bullet mit Edward G. Robinson in der Titelrolle dargestellt. Im Mittelpunkt des Films stand Salvarsan (Arsphenamin, „Präparat 606“), sein Heilmittel gegen Syphilis. Da die Nazi-Regierung gegen diese Hommage an einen jüdischen Wissenschaftler war, wurde versucht, den Film in Deutschland geheim zu halten.

Ehrungen und TitelBearbeiten

  • 1882 Verleihung des Titels Professor
  • 1890 Ernennung zum außerordentlichen Professor an der Friedrich-Wilhelms-Universität (heute Humboldt-Universität)
  • 1896 Verleihung des nichtakademischen preußischen Titels eines Geheimer Medizinalrats)
  • 1903 Verleihung der höchsten wissenschaftlichen Auszeichnung Preußens, die Große Goldene Medaille der Wissenschaft (die zuvor nur an Rudolf Virchow verliehen worden war)
  • 1904 Ehrenprofessur in Göttingen; Verleihung der Ehrendoktorwürde der University of Chicago
  • 1907 Verleihung des selten vergebenen Titels „Geheimer Obermedizinalrat“; Verleihung der Ehrendoktorwürde der Universität Oxford
  • 1908 Verleihung des Nobelpreises für Physiologie oder Medizin für seine „Arbeiten über die Immunität“
  • 1911 Verleihung der höchsten zivilen Auszeichnung Preußens, Wirklicher Geheimer Rat (mit dem Prädikat „Exzellenz“)
  • 1912 Ernennung zum Ehrenbürger der Stadt Frankfurt a.M. und seines Geburtsortes Strehlen
  • 1914 Verleihung des Cameron Prize for Therapeutics der Universität Edinburgh
  • 1914 Ernennung zum ordentlichen Professor für Pharmakologie an der neu gegründeten Frankfurter Universität.

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