DISKUSSION

Der erste 46,XX männliche DSD-Patient wurde 1964 von de la Chapelle et al (3) beschrieben. Obwohl 46,XX DSD bei Männern häufig sporadisch auftritt (4), wurde auch über familiäre Fälle berichtet (5). Der vorliegende Fall wurde als sporadisch betrachtet, da er keine Familienanamnese hatte.

Mindestens drei Mechanismen wurden für die Ätiologie der 46,XX männlichen DSD vorgeschlagen: (i) Translokation des Y-Chromosoms einschließlich des SRY-Gens auf dem X-Chromosom oder auf autosomalen Chromosomen, (ii) X-chromosomale Mutation/Überexpression in den Genen, die die Hodendifferenzierung verursachen, oder Mutation/Überexpression in autosomalen Genen bei SRY-negativen XX-Männern und (iii) heimlicher Y-Mosaizismus, der nur in den Keimdrüsen gefunden wird (1).

46,XX männliche Patienten können je nach Vorhandensein (90% der Fälle) oder Fehlen (10% der Fälle) des SRY-Gens in zwei Gruppen eingeteilt werden (1,6). Eine Translokation des Y-Chromosoms, die den SRY-Locus auf dem X-Chromosom einschließt und durch Rekombination während der väterlichen Meiose entsteht, kann in 90 % der 46,XX männlichen DSD-Fälle durch molekulare Analysen (FISH und PCR) leicht nachgewiesen werden (4,7,8,9). Im vorliegenden Fall unterstützt der Nachweis des auf dem kurzen Arm des X-Chromosoms translozierten SRY-Locus mittels FISH-Methode die Ansicht, dass SRY ein wichtiger Faktor für die männliche Differenzierung ist. Das Erscheinungsbild der äußeren Genitalien und die Maskulinisierung sind bei 46,XX SRY-positiven Männern in der Regel normal (2).

Vor der Pubertät gibt es außer einem Hodenhochstand keine klinischen Anzeichen, und daher werden 46,XX SRY-positive Männer in der Regel im späten Jugend- oder Erwachsenenalter durch Chromosomenanalysen diagnostiziert, die bei Unfruchtbarkeit und/oder kleinen Hoden durchgeführt werden (10). Im vorliegenden Fall waren die äußeren Genitalien vollständig männlich, die Schambehaarung und die Penisgröße waren normal. Ein kleiner Hoden war die Hauptbeschwerde.

46,XX SRY-negative Männer können kurz nach der Geburt aufgrund einer unzureichenden Virilisierung der äußeren Genitalorgane diagnostiziert werden (2). Obwohl eine unvollständige Virilisierung der äußeren Genitalien bei 46,XX SRY-negativen Männern üblich ist, kann auch eine vollständige Maskulinisierung und ein normales männliches Aussehen der äußeren Genitalien auftreten (5). SOX9 ist normalerweise zusammen mit SRY an der Hodendifferenzierung beteiligt, und eine Duplikation dieses Gens kann zur Entwicklung von SRY-negativen 46,XX-Männern führen. Kürzlich wurde über eine Duplikation und Triplikation von SOX9 und eine Duplikation des SOX3-Gens berichtet, die zu 46,XX SRY-negativen Männern führen (11,12,13). Darüber hinaus führen Mutationen in der Kodierung von R-Spondin1 (RSPO1) zu einem extrem seltenen klinischen Syndrom, das eine SRY-negative männliche XX-Geschlechtsumkehr mit palmoplantarer Hyperkeratose und einer Prädisposition für Plattenepithelkarzinome der Haut kombiniert (14). Es wurde auch berichtet, dass ein Y-Mosaizismus in SRY-negativen Fällen eine weitere Ursache für die Entwicklung von XX-Männchen sein kann (15). Da im vorliegenden Fall eine SRY-Positivität festgestellt wurde, wurden keine weiteren Analysen auf SOX9-, SOX3- und RSPO1-Gene oder auf Y-Mosaizismus durchgeführt.

Während die Testosteronwerte von 46,XX männlichen DSD-Fällen in der Pubertät normal sind, ist die Testosteronsynthese im Erwachsenenalter beeinträchtigt. Die Gonadotropinspiegel überschreiten in der mittleren Pubertät die normalen Grenzen, was zu einem hypergonadotropen Hypogonadismus führt, der ein typischer Laborbefund im Erwachsenenalter ist (2,16). Das Hodenvolumen beträgt in diesen Fällen in der Regel weniger als 5 mL. Während die Hodenmorphologie im Säuglingsalter normal ist, führt die Hyalinisierung der Hodenkanälchen in der frühen Kindheit zum Verlust der Spermatogonien (7,16). Ergun-Longmire et al. (2) berichteten über altersgemäße Gonadotropin- und Testosteronwerte bei 4 präpubertären XX-Männern in der Mini-Pubertät (2). Die normale Virilisierung und der normale Testosteronspiegel des vorliegenden Falles in der Pubertät stimmen mit früheren Berichten überein und deuten darauf hin, dass diese Fälle eine angemessene Gonadenfunktion haben, um die Pubertät einzuleiten. Bei klinischen und/oder labortechnischen Anzeichen von Androgenmangel in der Pubertät sollte ein Testosteronersatz durchgeführt werden. Da eine physiologische Orientierung wichtig ist, um soziale und sexuelle Probleme auszuschließen, wird bei Fällen mit äußeren Genitalanomalien eine möglichst baldige chirurgische Korrektur empfohlen (1). Im vorliegenden Fall wurde eine Testosteronsubstitution zur Behandlung des hypergonadotropen Hypogonadismus eingeleitet.

Zusammenfassend sollte eine 46,XX männliche DSD auch in der Differentialdiagnose von Fällen in Betracht gezogen werden, deren Hodenvolumen in der Pubertät nicht zunimmt und/oder die sich in der frühen Kindheit mit zweideutigen Genitalien präsentieren.

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